Die Corona-Krise war für viele Menschen eine schwierige Zeit. Etwas kaum Vorstellbares ist eingetreten: wir mussten mit massiven Einschränkungen leben und uns in vielen Bereichen gleichzeitig umstellen. In meinem Gesprächen für den New Leadership Podcast und mit Bekannten und Geschäftspartnern bin ich auf sehr unterschiedliche Haltungen gestossen. Einige wollten die Veränderung nicht akzeptieren und redeten dagegen an. Andere sahen zwar die Probleme, suchten aber auch gezielt nach Chancen und positiven Aspekten.
Als Resilienz wird die psychische Widerstandskraft bezeichnet, also die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen. Neulich fragte mich eine junge Bewerberin für eine Beraterstelle in meinem Unternehmen, was denn aus meiner Sicht einen „resilienten“, also seelisch stabilen Menschen ausmache. „Gute Frage“, antwortete ich ihr und nahm mir in den Tagen danach die Zeit, die aus meiner Sicht wichtigsten Eigenschaften resilienter Menschen aufzuschreiben und ihr zuzuschicken. Ich kam dabei auf folgende sieben Punkte:
- Selbst-Bewusstheit: eine mental stabile Person zieht ihren Selbstwert nicht aus dem Vergleich mit anderen. Sie handelt nach eigenen Wertmaßstäben und macht ihr Selbstwertempfinden nicht vom Urteil Dritter abhängig. Sie ist weitgehend immun gegen den Selbstmarketing-Wahnsinn unserer Zeit und weiß, dass sie ihre Einzigartigkeit nicht im Außen suchen muss, sondern in sich selbst.
- Wert persönlichen Wachstums: Wer mit der Unsicherheit des Lebens souverän umgeht, für den stellen Neugier und persönliches Wachstum hohe persönliche Werte dar. Er akzeptiert, dass der Weg zu Selbsterkenntnis keine Wellness-Reise ist. Er hat Geduld und ist bereit, auch schmerzhafte Erfahrungen zu machen, um mentale Grenzen zu überwinden. Seinen Sinn schöpft er aus neugierigem Entdecken und Erkennen.
- Integration aller Bedürfnisse: Resiliente Menschen kennen die verschiedenen Rollen und Lebensbereiche. Sie sind sich ihrer teilweise widersprüchlichen Bedürfnisse bewusst und nehmen sie ernst. Sie akzeptieren aber auch, dass sie sich niemals alle Bedürfnisse zur gleichen Zeit erfüllen können und alles im Leben einen Preis hat. Wenn man sich für mehr Freizeit entscheidet zahlt man dafür mit Karrierechancen. Wenn sich ganz auf Karriere konzentriert ist der Preis dafür das geopferte Privatleben. Wer resilient ist, weiß, dass unterdrückte Bedürfnisse und Ängste im Unbewussten fatale Folgen anrichten. Deshalb arbeitet er aktiv mit allen seinen Rollen und Persönlichkeitsanteilen, macht sich Zielkonflikte bewusst und überlegt sich, wie er private und berufliche Bedürfnisse bestmöglich in seinen Alltag integrieren kann.
- Das Unbewusste als Freund: Seelisch stabile Menschen verfügen über ein gesundes Urvertrauen. Sie vertrauen ihrer Intuition und darauf, dass es auch für scheinbar ausweglose Situationen eine Lösung gibt. Sie haben verstanden, dass unsere Gehirn unterbewusst 300.000 Mal mehr Daten verarbeitet als mit dem Verstand und vertrauen bei komplexen Fragen deshalb ihrem Bauchgefühl und 6. Sinn.
- Positives Selbstbild: Ein seelisch gesunder Mensch ist sich seines Selbst bewusst. Er kennt seine wichtigsten Werte, Stärken, Energiequellen, Kraftfresser und Bedürfnisse und kann ausdrücken, was ihn als Individuum einzigartig macht. Er weiß auch, was er nicht ist oder welche Tätigkeiten seinem Wesen nicht entsprechen. Das gibt ihm ein eigenständiges Fundament und verleiht ihm mentale Stärke. Er bekennt sich zu seinen Schwächen und konzentriert auf die Weiterentwicklung seiner Stärken.
- Lebensfreude statt Weltflucht: Ein resilienter Mensch findet gerade auch Hürden, Schwierigkeiten und kleinen Misserfolge im Leben spannend. Er strebt nicht danach, perfekt, erleuchtet oder von allen bewundert zu werden. Er interessiert sich für das Leben an sich. Ihm ist klar, dass viele Angebote von Gurus, Werbetextern und Ideologen eine (oft sehr teure) Verführung zur Weltflucht sind. Sein Ziel ist es, möglichst viele Momente bewusst zu erleben und in ihnen die Schönheit der Schöpfung und das Wunder des Lebens zu erkennen.
Ein geistig starker Mensch akzeptiert seine mentalen Grenzen. Dann überwindet er sie und vergrößert so den Spielraum seines bewussten Handelns.